CHRISTENTUM
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"Was soll der nackte Mann auf dem Holz?"
Sie schütteln den Kopf über die Frage? - Nun, sie ist mir tatsächlich schon so gestellt worden. Unser bis vor Kurzem noch ureigenstes Selbstverständnis kann im 21. Jahrhundert als exotisch und sogar befremdlich empfunden werden. Dabei ist der Frage, jenseits ihrer unfassbaren Ignoranz, durchaus eine ungeahnte Tiefe abzugewinnen: Was bedeuten denn die Menschwerdung Gottes, der Tod und die Auferstehung Jesu Christi wirklich? Warum das Ganze? Ist die Welt dadurch besser geworden?
Von 1984 bis 1992 lebte ich in Jerusalem, davon dreieinhalb Jahre im Armenischen Viertel der Altstadt. Meine Nachbarn waren die syrisch-orthodoxen Mönche des Markushaus-Klosters. In Jerusalem wurde ich mit vielen weiteren Kulturen und Religionen vertraut, u.a. auch anderen christlichen Konfessionen wie den koptischen und äthiopischen, griechisch-orthodoxen und griechisch-katholischen, assyrischen und chaldäischen Kirchen. In der evangelisch-lutherischen Erlöserkirche war ich, wiewohl katholisch, Gemeindemitglied; und gleichzeitig auch in der hebräisch-sprachigen kath. Gemeinde "Bet Jescha'jahu".
In meiner Heimatpfarrei MARIA TROST (München-Untermenzing) war ich Lektor und Mitglied des Pfarrgemeinderats, leitete unsere Pfarreipartnerschaft mit der indigenen Gemeinde Pilahuín in Ecuador, und singe im Kirchenchor des Pfarrverbands.
In Diözesanrat der Katholiken in der Erzdiözese München und Freising war ich Mitglied im Sachausschuss "Entwicklung-Gerechtigkeit-Frieden".
Seit 1998 bin ich an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität als Assistent am Lehrstuhl für Altes Testament (bis 2007), und als Lehrbeauftragter (seit 2008) tätig.
In der Gesellschaft FREUNDE ABRAHAMS engagiere ich mich (seit ihrer Gründung 2001, seit 2013 als Vorsitzender) für den Dialog zwischen Judentum, Christentum und Islam. Die Freunde Abrahams vertrete ich im Rat der Religionen München und im Haus der Kulturen und Religionen München.
PUBLIKATIONEN (Auswahl):
Vorwort zur Neuauflage:
Manfred Görg,
Mythos, Glaube und Geschichte. Die Bilder des christlichen Credo und ihre Wurzeln im alten Ägypten
Edition Avicenna München 2014
Stefan Jakob Wimmer und Stephan Leimgruber,
Von Adam bis Muhammad
Bibel und Koran im Vergleich
bibelwerk Stuttgart 2. Aufl. 2007
Franziskus auf den Spuren Abrahams und Freunde Abrahams auf den Spuren von Franziskus,
Blätter Abrahams 21, 2021, 93-100
Ethnogenese im Vergleich. Zur frühen Christianisierung der Baiern an der Donau,
Blätter Abrahams 15, 2015, 71-80
Das Markushaus zu Jerusalem,
Blätter Abrahams 7, 2008, 67-75
Madonna – Reflexionen zu Muttergottesbildern,
Blätter Abrahams 3, 2004, 85-94
Entretien avec Sa Grâce l‘archevêque Amba Abraham, Patriarcat Copte de Jérusalem,
Le Monde Copte 23, Egypte et Terre sainte 1993, 69-71
STELLUNGNAHMEN:
"Gott sei Dank ist die Zeit des Friedens bald vorüber!"
Macht sich eine abrahamitiscche Schattenökumene des Hasses breit?
Seit einem Jahr versucht eine internationale Allianz, der westliche ebenso wie arabische Staaten angehören, der bedrohlichen Ausbreitung des sogenannten „Islamischen Staates“ in Irak und Syrien mit Luftschlägen Einhalt zu gebieten. Mit bisher nur begrenzten Erfolgen. Man hat vielmehr den Eindruck, dass das Terrorgeschwür immer mehr Metastasen ausbildet, in Libyen, im Nordsinai, im Jemen, in Tunesien, in Nigeria … Dementsprechend flächendeckend und entschieden fallen die Reaktionen der Muslime aus, die in sehr deutlichen Worten die Verbrechen verurteilen, die der „I.S.“ im Namen ihrer Religion verübt: von der hoch angesehenen Al-Azhar-Universität in Kairo über den Großmufti von Saudi-Arabien, politische Organisationen wie der Arabischen Liga, dem Golf-Kooperationsrat oder der weltweiten Organisation für Islamische Zusammenarbeit, bis hin zu regionalen und lokalen Repräsentanten wie führenden Imamen in Großbritannien, der Türkischen Kulturgemeinde in Österreich, dem Zentralrat der Muslime in Deutschland oder den Münchner Imamen, die im September 2014 die „Deklaration der Imame“ herausgegeben haben (www.islam-muenchen.de/?s=deklaration), und solchen, die überall auf der Welt in den Moscheen dagegen anpredigen. Die Medien erachten diese globalen Reaktionen aber offenbar für wesentlich weniger berichtenswert, als die von den Terroristen selbst angemaßte Verlinkung ihres Wütens mit dem Islam.
Auf globaler Ebene scheint Religion als vermeintliche Quelle für Hass und Gewalt derzeit überhaupt an Konjunktur zuzulegen. In Israel zündeten Brandstifter im Juni die Kirche der Brotvermehrung am See Genezaret an und hinterließen an der Wand das Zitat „und dass die Götzen ausgemerzt werden“ aus dem Alenu-Leshabeach-Gebet, das fromme Juden dreimal täglich beten. Als wäre dies nur ein Fanal gewesen, brannte wenige Wochen später das Haus der palästinensischen Familie Daoubasah im Dorf Douma südöstlich von Nablus. Der eineinhalbjährige Ali konnte nicht gerettet werden; inzwischen erlag auch sein Vater seinen Verletzungen. Diesmal stand das Wort „Rache“ – eine Lieblingsparole von Terroristen aller Länder und Religionen – in Hebräisch an der Wand, und daneben: „Es lebe der König Messias“. Anfang August wurde in Zusammenhang mit der Terrorwelle der 24-jährige Meir Ettinger verhaftet, ein Enkel des 1990 ermordeten, rechtsextremistischen Rabbiners Meir Kahane.
Nur einen Tag vor dem verheerenden Brandanschlag stach der ultraorthodoxe Wiederholungstäter Yishai Schlissel während einer Parade von Lesben und Schwulen in Jerusalem mit einem Messer auf die Teilnehmenden ein, verletzte sechs Menschen, von denen die sechzehnjährige Shira Banki bald darauf starb. Der Täter war erst drei Wochen zuvor nach zehnjähriger Haft entlassen worden, zu der er nach einer ähnlichen Messerattacke auf eine Gay-Pride-Parade 2005 verurteilt worden war.
Dass Homosexuelle mit dem Tod zu bestrafen seien, äußerte wiederum nur wenige Tage nach dem Blutvergießen in Jerusalem aber auch der Schweizer Bischof Vitus Huonder, als er vor konservativen Katholiken in Fulda einschlägige Verse aus dem Alten Testament zitierte („Ihr Blut soll auf sie kommen“, Lev 20,13 u. a.). Er hätte, wenn er schon auf jegliche Kontextualisierung der Quellen verzichtet, auch beim Neuen Testament bleiben können („Wer so handelt, verdient den Tod“, Röm 1,32). Nach heftigen Reaktionen einschließlich einer Anzeige ruderte der Bischof von Chur zurück und erklärte, er habe das so nicht gemeint.
Von derlei Relativierungen ist Erzpriester Wsewolod Tschaplin aus Moskau weit entfernt. Er wettert leidenschaftlich nicht nur gegen Homosexuelle, sondern auch gegen Abtreibung, Atheismus und Kirchenkritik, hält Vergewaltigungen i. d. R. für die eigene Schuld der Opfer aufgrund unzüchtigen Auftretens und preist den Kreationismus, den er anstelle der Evolutionslehre in den Schulen „gelehrt“ haben möchte. Mit all diesen Themen befindet sich der russisch-orthodoxe Kirchenmann in bemerkenswertem Einklang mit evangelikal-fundamentalistischen Hasspredigern aus USA. Fast sähe das alles ja nach einer „abrahamitischen Schattenökumene“ aus, die „radikal-islamistische“, „radikal-judaistische“ und „radikal-christianistische“[1] Propagandisten untereinander entwickelten, so sehr ähnelt sich ihr Denken und allzu oft auch ihr Handeln. Davon kann aber schon deshalb nicht ernsthaft die Rede sein, weil bei allen die Ablehnung aller anderen Religionen und Konfessionen zum unverzichtbaren Grundbestand ihres Hasses gehört. Erzpriester Tschaplin verteufelt denn auch besonders eifrig die USA sowie „den Westen“, der mit seinen falschen Werten die Welt immer tiefer in die Gottlosigkeit treibe. Doch nicht mehr lange. Gott habe Russland dazu auserwählt, die Weltgeschichte radikal herumzureißen, und dazu bedürfe es jetzt dringend einer umfassenden „Reinigung“. Eine „allzu lange Friedenszeit“ gehe bald zu Ende. Es klingt unfassbar, doch der christliche Geistliche wird mit Aussagen zitiert wie: „Besser sollte es Krieg geben“ und „Gott sei Dank ist die Zeit des Friedens bald vorüber!“
Mit seiner Demagogie gilt Erzpriester Tschaplin nicht etwa als ein Irrlicht am Rande der Kirche oder der Gesellschaft. Er leitet die öffentlichkeitswirksame Abteilung für die Beziehungen zwischen Kirche und Gesellschaft des Moskauer Patriarchats und verbreitet seine Schwarze Theologie offenbar ungehindert. Kein Geistlicher sei in russischen TV-Sendungen, Radio-Shows oder Zeitungsinterviews ähnlich präsent, behauptet Spiegel Online in einem Beitrag unter dem Titel „Putins Gotteskrieger“. Und: „Sein Wort hat Gewicht, auch im Kreml“ (30.7.2015).
Das könnte zum Kontext einer Meldung zum Krieg in der Ostukraine passen, die die Süddeutsche Zeitung am 26.2.2015 druckte. Illustriert war der Bericht mit einem Bild, das man andernfalls geneigt wäre, für eine geschmacklose Fotomontage zu halten. Separatisten posieren mit ihren automatischen Waffen auf einem Panzer, auf dem sie als Fahne die Darstellung einer Christus-Ikone aufgezogen haben!
Damit schließt sich der Kreis unserer Rundumschau des religiös verbrämten Wahnsinns. Der „Islamische Staat“ inszeniert seinen Gewaltkult regelmäßig vor einer schwarzen Fahne, auf der das islamische Glaubensbekenntnis steht. Möchte man dessen unaussprechliche Barbarei den doch viel zivilisierteren Waffen entgegenhalten, mit denen im Osten Europas Menschen getötet werden? Nun, selbst das Köpfeabschneiden ist kein Alleinstellungsmerkmal sog. „islamistischer“ Terroristen. Im Südsudan – einem christlichen Land, das sich vor genau vier Jahren nach jahrzehntelangem, leidvollem Kampf erfolgreich vom muslimischen Norden losgelöst hat, tobt ein Krieg, den Beobachter als noch grauenvoller beschreiben als das, was im Irak und in Syrien geschieht – soweit das überhaupt noch vorstellbar sein kann. Die Süddeutsche Zeitung berichtet zum Jahrestag der Staatsgründung unter dem Titel „Versunken in unaussprechlicher Gewalt“ (5.7.2015) von Vorgängen, die in erster Linie Kinder betreffen, und die ich hier nicht mehr wiedergeben möchte … Eine der an den Massakern beteiligten Kampftruppen ist die aus Uganda operierende „Lord’s Resistance Army“, die „Widerstandsarmee des Herrn“, die seit langem für einen „christlichen Gottesstaat“ kämpft. Berichtet wird darüber nur wenig.
Bei all diesen Analogien lässt unser Befund doch einen Unterschied erkennen. Nämlich den, dass – so sieht es aus – nur Muslime einhellig und umfassend den Irrsinn aus eigenen Reihen verurteilen. „Da höre ich zu wenig“, mahnte dennoch Kardinal Marx an Mariä Himmelfahrt 2014 von einer Predigt im Münchner Dom aus die Muslime, sich von Gewalt im Namen Gottes zu distanzieren. Würden wir aber von Bischöfen, ja von den Pfarrern und Priestern in München erwarten, dass sie sich klar und unmissverständlich distanzieren von den Aussagen und den Taten offensichtlich irrsinniger Christen irgendwo auf der Welt? Würden wir von jüdischen Rabbinern und Gemeinden in Deutschland erwarten, dass sie uns erklären, warum der Terror radikaler Juden nicht mit dem Judentum an sich verwechselt werden darf?
Ich meine nicht, dass wir das erwarten sollten. Ich meine, dass wir ganz normale Gläubige jedweder Religion stigmatisieren und beleidigen, wenn wir ihnen a priori unterstellen, dass sie Hass, Gewalt und Terror billigten, solange sie nicht immer wieder öffentlich das Gegenteil kundtun.
[1] Von den drei Bezeichnungen ist nur die erste im Sprachgebrauch üblich. Die hier bewusst gewählten Parallelen mögen aufzeigen, dass die erste Bezeichnung nicht weniger unangebracht ist als die anderen beiden, oder die anderen nicht weniger angebracht wären als die eine.
(aus ABRAHAMS POST 27/2015)
Brief an die Koptische Gemeinde
Zum Ausdruck unserer Trauer über die Ermordung von 21 koptischen Geiseln durch „I.S.“-Terroristen in Libyen richteten wir (Freunde Abrahams e.V.) das folgende Schreiben an Pater Deuscoros El-Antony und die Koptische Gemeinde St. Mina.
Lieber, verehrter Abuna Deuscoros, verehrte Koptische Gemeinde in München,
Märtyrer kennt die Koptische Kirche von Anbeginn und durch die Jahrhunderte ihrer immer wieder angefeindeten Existenz hindurch. Es waren Römer, es waren byzantinische Christen, es waren katholische Kreuzfahrer, es waren Muslime, die Christen in Ägypten verfolgten und ermordeten. Immer wieder waren es Wahnsinnige, die die größte denkbare Sünde begingen, indem sie sich als Menschen über Menschen erhoben und das Leben vernichteten, das Gott geschaffen hat.
Auch die jüngsten Grausamkeiten werden das Christentum, das in Ägypten zuhause ist, nicht schwächen sondern stärken. Mögen die 21 Märtyrer, die jetzt bei Christus sind, die Menschen am Nil nicht gegeneinander aufbringen, sondern diejenigen vereinen, die dem Bösen standhalten, egal unter welchem Namen und hinter welcher Maske es auftritt. Ägypten, dem die ganze Welt unendlich viel verdankt, hat die Kraft dazu.
In unseren Gebeten, die christliche, islamische, jüdische oder andere Formen haben mögen, sind wir als Freunde Abrahams mit Ihnen verbunden.
Alle Völker und jede Herde segnest Du,
den himmlischen Frieden lasse über all unsere Herzen kommen!
Die Antwort kam prompt per E-Mail:
Liebe Freunde Abrahams,
Lieber Herr Dr. Wimmer,
Im Namen der Koptisch-orthodoxen Gemeinden in Bayern bedanke ich mich ganz herzlich für das Mitgefühl und die Solidarität, die aus Ihrem Schreiben sprechen und uns sehr gerührt haben. Mehr denn je ist es in dieser Zeit notwendig und tröstlich, zusammenzustehen und für ein friedlicheres Miteinander auf unserer Erde zu beten. Wir glauben und fühlen in der Tat, dass das Blut der Märtyrer uns Lebenden Kraft gibt und unseren Glauben stärkt.
Der Frieden Gottes sei mit Ihnen und uns allen.
Abuna Deuscoros
(aus ABRAHAMS POST 26/2015)