STELLUNGNAHMEN AKTUELL
Wenige Minuten Beben haben genügt, um unzähligen Menschen in der Region, die schon seit Abrahams Zeiten alle Gemüter bewegt, das Leben zu zertrümmern. Individuelle Zeitenwenden von unvorstellbarer Gewalt! Währenddessen beschäftigt uns Gewalt, die nicht als Naturkatastrophe und auch nicht durch Viren über die Welt gebracht wird, sondern durch das Wirken von Menschen. Für sie hat Bundeskanzler Scholz das Wort des Jahres 2022 „Zeitenwende“ geprägt. Vor einem Jahr startete Putin seinen Versuch, Europa ins 20. und 19. Jahrhundert zurückzubomben und uns allen wieder die Logik der Waffen und den Wahnsinn des Rüstens aufzuzwingen. Aber auch andernorts finden Kriege statt, ohne dass wir ihnen unsere ganze Aufmerksamkeit zuerkennen, wie zum Beispiel im Jemen. In Israel, wieder auch Heimat Abrahams, spielt sich währenddessen eine schleichende Zeitenwende ab, die wir, wie es scheint, einfach weiter hinnehmen – wie so vieles, was dort schon seit Langem geschieht.
Vom Wenden ist in einem Text die Rede, der als Gebet zum Jahrestag des Putin-Krieges verfasst wurde, aber weit darüber hinaus trifft (siehe auf S. 22-23 in voller Länge):
Wende die Herzen der Tyrannen und Unterdrücker zur Liebe,
Wende die Herzen der Verängstigten und Verstörten zur Freude,
Wende die Herzen der Gnadenlosen und Rücksichtslosen zum Mitleiden,
Wende die Herzen der Ungerechten und Unfairen zur Gerechtigkeit,
Wende die Herzen der Bekümmerten und der Unterdrückten zur Hoffnung.
Vertiefe unsere Fähigkeit, Verschiedenheit anzunehmen,
Vertiefe unseren Respekt vor allen Geschöpfen und der Schöpfung,
Vertiefe unsere Zuneigung zu allen Leidenden,
Vertiefe unser Engagement für Frieden und Gerechtigkeit.
Diese Zeitenwende, um die da Gott gebeten wird, ist auch unsere eigene Aufgabe. Sie müssen wir jetzt schaffen, gemeinsam. Sie bleibt alternativlos.
(Editorial der ABRAHAMS POST 42.2023)
Stellungnahme zum schweren Erdbeben in der Türkei und in Syrien
Fassungslos verfolgen wir die Berichte von dem extrem starkn Erdbeben in der Türkei und in Syrien. Anders als bei Kriegen und Gewalt kann bei einer solchen Katastrophe keine Schuldfrage in den raum gestellt werden. Hoffen wir, dass die türkischen, kurdischen, arabischen, aramäischen und jesidischen Menschen der Region zusammenstehen und einander helfen, die Folgen zu bewältigen, und unterstützen wir sie dabei, auf jede mögliche Weise!
(SJW, 28.1.2023; ABRAHAMS POST 42.2023)
Stellungnahme der Freunde Abrahams zu den Terroranschlägen in Jerusalem
Wieder triumphieren in Nahost diejenigen, die den Konflikt weiter anheizen wollen, anstatt ihn beizulegen. Mit noch mehr Gewalt und Provokation gegen gedemütigte und entrechtete Palästinenser vorzugehen, wird Israel nicht dem Frieden näherbringen. Es ist alles andere als „jüdisch“. Und darauf mit der Ermordung unschuldiger Menschen nach ihrem Gebet vor einer Synagoge zu reagieren, wird die Palästinenser nicht ihrer Freiheit näherbringen. Terror gegen betende Menschen ist alles andere als eine „natürliche“ Antwort, der Täter kein „Held“ und kein „Märtyrer“, und die, die ihn feiern, verteidigen oder verharmlosen, werden mitverantwortlich für weiteres Leid, das daraus erfolgt. Es ist alles andere als „islamisch“. Und „christlich“ ist es auch nicht.
(SJW, 28.1.2023; ABRAHAMS POST 42.2023)
Viel ist die Rede von Krisen in diesem Sommer. Putins anhaltender und sich hoffentlich nicht ausweitender Krieg im Osten Europas, Sorgen um die Energieversorgung, dazu Hitzewellen und Trockenheit als Zeichen der globalen Klimakrise und – ach ja – immer noch Corona … Wie werden der Herbst und der Winter werden?
Und dennoch – oder gerade deshalb – war diesen Sommer endlich wieder das Leben in (beinahe) vollen Zügen zu spüren. Wer an heißen Tagen in München unterwegs war, mochte sich an das ewig junge Lied „Sommer in der Stadt“ von der Spyder-Murphy-Gang erinnern, und die vielen neuen Schanigärten haben das südländisch anmutende Flair der langen, warmen Abende verstärkt. Überall feiern Menschen wieder, viele reisen auch wieder, nehmen Kulturangebote wahr und erleben, wie wichtig das alles ist – gerade auch, um unsere Resilienz in Krisenzeiten zu „boostern“.
Auch wir Freunde Abrahams wollen wieder feiern, wie nun schon mehrmals angekündigt: unser 20-jähriges Bestehen (siehe Seite 4/5). Wir gedenken auch des 10. Todestages von Manfred Görg (gestorben 17.9.2012). Und beides tun wir gleichzeitig. Die Religionen rufen dazu auf: für das Gute und für das Schwere da zu sein, sich einzulassen auf das, was uns anvertraut wird, und auf das, was uns abverlangt wird; Krisen ernst zu nehmen, mit Vernunft und Bedacht das Nötige zu tun oder zu lassen, um uns selbst und andere nicht zu gefährden und um Gottes Schöpfung zu bewahren – und voll Zuversicht Feste zu feiern, wenn wir feiern können.
„Resignation ist kein Bestandteil von Religion. Resignation ist das Gegenteil von Religion“, so stand es schon vor einem Jahr im Editorial der Abrahams Post.s zu verwirklichen!
(Editorial der ABRAHAMS POST 41.2022/23)
Meinung und Wahrheit – und die Religionen
Dass die Religionen vieles gemeinsam haben, gehört zu den Grundwahrheiten der Freunde Abrahams. (In manchem unterscheiden sie sich auch – das begründet den Reichtum ihrer Diversität und macht sie für uns interessant, ist aber gerade nicht das Thema.) Gemeinsam befürworten die Religionen zweifellos ein Leben im Einklang mit der Schöpfung, das heißt achtsamen Umgang mit der Natur, mit den Ressourcen, mit den Tieren und Pflanzen, mit uns selbst, unserem Körper und unserer Seele. Sie befürworten auch, was Menschen zum gegenseitigen Nutzen und Segen schaffen und bewirken. Gemeinsam verurteilen sie das Streben einzelner nach Geld und Macht auf Kosten anderer.
Wir sollten nicht das Streben nach gerechten und gesunden Lebensbedingungen und das Gute, das die Errungenschaften der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hervorgebracht haben, gegeneinander ausspielen. Sondern bei beidem den Missbrauch um des Kommerz‘ willen einerseits und um vernunftfeindlicher Meinungs- und Denkverirrungen willen andererseits bekämpfen. Nicht, weil wir Naturheilkunde befürworten, die moderne Medizin als solche verteufeln – genauso wenig wie umgekehrt! Die Coronakrise kann, sollte, ja muss ein Weckruf werden, damit wir uns auf Nachhaltigkeit besinnen, den Klimaschutz noch viel entschlossener angehen und uns dabei auf das, was Wissenschaft kann und zum Guten leistet, stützen. Mit anderen Worten konkret und akut: Gesundheit und Immunsystem auf natürliche Weise stärken und uns natürlich impfen lassen – nicht entweder oder.
Die Religionen haben gemeinsam, dass die Gefährdung von unschuldigem Leben zum Schlimmsten gehört, wessen sich Menschen schuldig machen können. Wir alle können beitragen, was nötig ist, um Corona weltweit zu besiegen und um eine gerechtere Welt des Miteinanders zu verwirklichen!
(Editorial der ABRAHAMS POST 40.2022)
Stellungnahme zur JERUSALEM DECLARATION ON ANTISEMITISM und zu "BDS"
Ich verdanke Israel die wertvollsten Jahre meiner Biografie. Meinen Doktortitel habe ich an der Hebräischen Universität erworben, und seitdem arbeite ich kontinuierlich und eng mit israelischen Kolleg*innen in den Bereichen Archäologie und Ägyptologie zusammen. Ein gemeinsames Projekt mit der Bar-Ilan-Universität wurde von der German-Israeli Foundation gefördert. Ich arbeite an der Bayerischen Staatsbibliothek als Fachreferent für Hebräisch, bin dadurch in gutem Kontakt zum Generalkonsulat des Staates Israel in München und kooperiere auch hier gerne und eng unter anderem mit der Israelischen Nationalbibliothek. Darüber hinaus unterhalte ich zahlreiche persönliche Freundschaften und Kontakte nach Israel.
Ich kann, will und werde also die so genannte „BDS“-Kampagne nicht unterstützen oder gutheißen und habe das nie getan, weder direkt noch indirekt.
In allen Stellungnahmen der Gesellschaft FREUNDE ABRAHAMS (der ich vorstehe), in denen auf „BDS“ Bezug genommen wird, wird erklärt, dass die FREUNDE ABRAHAMS „BDS“ nicht unterstützen.
Auch die JERUSALEM DECLARATION ON ANTISEMITISM (JDA, הצהרת ירושלים על אנטישמיות) vom März 2021 hält ausdrücklich fest, dass darin „BDS“ nicht unterstützt wird und ihre Unterzeichner unterschiedliche Positionen zu BDS vertreten (FAQ zu Guideline 14).
Die erklärte Intention der JDA ist es, den Kampf gegen Antisemitismus auf eine wirklich tragfähige Grundlage zu stellen und ihn vom Verdacht auf politischen Missbrauch zu befreien. Deshalb unterstütze ich die JDA.
Sie zeigt die Schwächen der 2016 von der IHRA als „Arbeitsgrundlage“ vorgestellten Definition von Antisemitismus auf, die in wichtigen Punkten unterschiedliche Interpretationen zulässt und damit – wie sich leider sehr deutlich gezeigt hat – zur Delegitimierung eines seriösen Diskurses zur Nahostproblematik missbraucht werden kann. Die Justiz in Deutschland hat über alle Instanzen festgestellt, dass vor diesem Hintergrund die Grundsätze der Meinungsfreiheit missachtet wurden, sodass die Entscheidungsträger, besonders auch in München, jetzt aufgerufen sind, die Fehlentwicklungen der letzten Jahre zu korrigieren. Dafür bietet die JDA eine kompetente Orientierungshilfe. Sie sollte nicht in Konkurrenz zur IHRA-Definition verstanden und dargestellt werden, sondern als deren Präzisierung, Verbesserung und Verstärkung – als Booster, „at uniting all forces in the broadest possible fight against antisemitism“ (FAQ, letzter Satz).
Man muss diese Bewertung nicht teilen – doch sollten alle, deren Anliegen wirklich ein aufrichtiger Kampf gegen Antisemitismus ist, sich nicht untereinander stigmatisieren und ausgrenzen.
Prof. Stefan Jakob Wimmer, Ph.D. (Hebr. Univ. Jerusalem), Mai 2022
Jerusalem Declaration on Antisemitism
Regelmäßig haben wir in der „Abrahams Post“ über den gemeinsamen Kampf gegen Antisemitismus berichtet und darüber, wie dieser Kampf durch den Missbrauch des Antisemitismusbegriffs und -vorwurfs konterkariert wird. Dabei kommt einer im Jahr 2016 von der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) herausgegebenen „Arbeitsdefinition“ von Antisemitismus eine zentrale Rolle zu. Sie lässt in Interpretation und Auslegung Spielräume offen, die im Sinne politischer Interessen ausgenutzt werden können. Wir haben ausführlich davon berichtet, wie gerade in München in Folge eines Stadtratsbeschlusses von 2017 durch fehlgeleitete Handhabung in der städtischen Praxis die Meinungsfreiheit beschränkt und Unrecht an Menschen verübt wird, die Anerkennung und Unterstützung verdienen würden anstatt Diffamierung und Stigmatisierung.
Eine Gruppe international renommierter Wissenschaftler*innen aus der Antisemitismusforschung und damit zusammenhängenden relevanten Bereichen hat nun, unterstützt von zahlreichen Persönlichkeiten aus Europa, den USA und Israel, auf die Arbeitsdefinition der IHRA reagiert und im März 2021 eine erweiterte Definition von Antisemitismus veröffentlicht: „The Jerusalem Declaration on Antisemitism (JDA)“ („Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus“).
Anders als die IHRA-Definition legt die JDA nicht nur fest, welche Einstellungen antisemitisch sein können – was in entsprechend missbräuchlicher Auslegung dann aber nicht mehr hinterfragt wird –, sondern stellt darüber hinaus auch fest, was nicht antisemitisch ist. Damit bietet sie aus kompetenter Richtung Orientierung für die, die im Spannungsfeld zwischen Antisemitismusverdacht und legitimer Kritik an der Politik Israels irritiert sind und – wie sich leider zeigt – daher oft wichtige Stimmen delegitimieren und den tatsächlichen Kampf gegen Antisemitismus beschädigen.
So wird in der JDA unter den 10 Punkten, die als antisemitisch gelten (fünf davon beziehen sich auf den Israel-Palästina-Konflikt), festgestellt, dass es zum Beispiel antisemitisch ist, „die Symbole, Bilder und negativen Stereotypen des klassischen Antisemitismus auf den Staat Israel anzuwenden“, „Jüd:innen kollektiv für das Verhalten Israels verantwortlich zu machen oder sie, bloß weil sie jüdisch sind, als Agent:innen Israels zu behandeln“, „Jüd:innen im Staat Israel das Recht abzusprechen, kollektiv und individuell gemäß dem Gleichheitsgrundsatz zu leben.“ Unter den fünf Beispielen, „die nicht per se antisemitisch sind (unabhängig davon, ob man die Ansicht oder Handlung gutheißt oder nicht)“ wird unter anderem angeführt: „Unterstützung der palästinensischen Forderungen nach Gerechtigkeit und der vollen Gewährung ihrer politischen, nationalen, bürgerlichen und menschlichen Rechte, wie sie im Völkerrecht verankert sind“, „Faktenbasierte Kritik an Israel als Staat. (…) Es ist nicht per se antisemitisch, auf systematische rassistische Diskriminierung hinzuweisen“, „Boykott, Desinvestition und Sanktionen sind gängige, gewaltfreie Formen des politischen Protests gegen Staaten. Im Falle Israels sind sie nicht per se antisemitisch.“
In dem der Erklärung angefügten, ausführlichen Kommentar in Fragen-und-Antworten-Form wird zur letztgenannten Leitlinie klargestellt, dass damit nicht gleichzeitig die so genannte „BDS“-Kampagne unterstützt wird. „Die Unterzeichnenden haben unterschiedliche Ansichten zu BDS. Leitlinie 14 besagt nur, dass gegen Israel gerichtete Boykotte, Desinvestitionen und Sanktionen nicht per se antisemitisch sind.“ Für die Beurteilung, welche Maßnahmen von „BDS“ antisemitisch sind, haben dieselben Definitionen zu gelten, wie in anderen Fällen. (Siehe dazu auch unter „Gute Nachrichten“: „Im ‚Eine-Welt-Haus‘ darf auch über ‚BDS‘ gesprochen werden“, weiter unten.)
Die JDA ist in voller Länge in der englischsprachigen Originalversion und in deutscher Übersetzung verfügbar unter: https://jerusalemdeclaration.org
Die Freunde Abrahams begrüßen die „Jerusalem Declaration on Antisemitism“ als dringend gebotene, seriöse Klarstellung gegenüber der IHRA-Definition. Wir schließen uns ihr vollinhaltlich an und rufen Institutionen ebenso wie die Öffentlichkeit dazu auf, sie zu übernehmen, zu vertreten, zu verbreiten und zu unterstützen.
(aus: ABRAHAMS POST 39.2021/22)
Leider weiterhin aktuell:
Zu den antisemitischen Übergriffen in Berlin (am 26.7.) und München (am 3.8.) - und wann und wo auch immer
Wir werden es nicht ganz abstellen können, dass es dumme Menschen gibt, mit defektivem Selbstvertrauen, in der Seele vergiftet – dass es also auch Antisemiten gibt. Aber wir akzeptieren es nicht, dass sie unwidersprochen auf unseren Straßen (oder wo auch immer) Menschen attackieren oder beleidigen. Konstantin Weckers Lied von 1993 ist unfassbar aktuell. Es sollte wieder viel häufiger gehört – und beachtet – werden (Auszüge):
Wenn sie jetzt ganz unverhohlen
wieder Nazi-Lieder johlen,
Über Juden Witze machen,
über Menschenrechte lachen,
Wenn sie dann in lauten Tönen
saufend ihrer Dummheit frönen,
Denn am Deutschen hinterm Tresen
muss nun mal die Welt genesen,
Dann steh auf und misch dich ein:
Sage nein!
Und wenn sie in deiner Schule
plötzlich lästern über Schwule,
Schwarze Kinder spüren lassen,
wie sie andre Rassen hassen,
Lehrer, anstatt auszusterben,
Deutschland wieder braun verfärben,
Hab dann keine Angst zu schrei’n:
Sage nein!
Ob als Penner oder Sänger,
Bänker oder Müßiggänger,
Ob als Priester oder Lehrer,
Hausfrau oder Straßenkehrer,
Ob du sechs bist oder hundert,
sei nicht nur erschreckt, verwundert,
Tobe, zürne, misch dich ein:
Sage nein!
(aus: ABRAHAMS POST 35.2019/20)