ISLAM
Jeder Mensch ist Muslim -
der eine mehr, der andere weniger,
keiner ganz und keiner gar nicht.
Es gibt in allen Religionen, genauso wie außerhalb der Religionen, Menschen, die aufeinander zugehen, konstruktiv und friedlich miteinander leben - und solche, die sich abgrenzen und über andere erheben. Für Gott, wie ich an Ihn glaube, kommt es darauf an, ob wir zu jenen oder zu diesen gehören - nicht darauf, welcher Religion wir angehören.
In Jerusalem, wo ich die "sieben fetten Jahre" meines Lebens zugebracht habe, wurde ich mit vielen Kulturen und Religionen vertraut. So auch mit dem Islam. Das "europäische Jerusalem", Sarajevo, greift diesen Dialog auf.
Für die Ägyptologie (= mein eigentliches Fach) spielt die nach-pharaonische Geschichte allenfalls über die Beschäftigung mit der koptischen Sprache (der christlichen Ägypter) noch eine Rolle. Der Islam hat aber Ägypten seit 14 Jahrhunderten geprägt - ohne Auseinandersetzung mit diesem Erbe und der Identität der Ägypter heute sind der kulturelle Reichtum und die spirituelle Tiefe des Niltals nicht ergründbar.
In München engagiere ich mich für die Initiative Münchner Forum für Islam (MFI), weil sie ein Angebot von Musliminnen und Muslimen und eine Chance für ein gedeihliches Miteinander darstellt, von der die Stadtgesellschaft insgesamt enorm profitieren würde - wenn wir sie denn ergreifen würden.
In der Gesellschaft FREUNDE ABRAHAMS engagiere ich mich (seit ihrer Gründung 2001, seit 2013 als 1. Vorsitzender) für den Dialog zwischen Judentum, Christentum und Islam. Die Freunde Abrahams vertrete ich im Rat der Religionen München, im Münchner Lehrhaus der Religionen und im Haus der Kulturen und Religionen München.
An der LMU biete ich die Vorlesung Der Koran im Vergleich mit der Bibel an, i.d.R. im Sommersemester, freitags 8-10 Uhr.
PUBLIKATIONEN (Auswahl):
Imam Benjamin Idriz, Stephan Leimgruber, Stefan Jakob Wimmer (Hgg.)
Islam mit europäischem Gesicht
Perspektiven und Impulse
Butzon & Bercker Vlg. Kevelaer 2010
Stefan Jakob Wimmer und Stephan Leimgruber,
Von Adam bis Muhammad
Bibel und Koran im Vergleich
bibelwerk Stuttgart 2. Aufl. 2007
Abu Safíja
Maria, woher hast du das?
Frauengestalten im Koran
Edition Avicenna München 2008
“In München steht eine Moschee”. Die Gründung der ersten islamischen Gemeinde Münchens,
Blätter Abrahms 22, 2022, 99-108
Die dialogische Sprache mit dem Judentum im Koran,
Blätter Abrahams 21, 2021, 125-150
“Ein Tag in Jerusalem ist wie tausend Tage”. Die Bedeutung Jerusalems für den Islam,
Blätter Abrahams 19, 2019, 61-72
Der Tempel von Jerusalem im Koran,
Blätter Abrahams 9, 2010, 79-90
Ägypten im Koran. “Kommt nach Ägypten, wenn Gott will, in Sicherheit”,
Blätter Abrahams 14, 2014, 47-64
The „Declaration of European Muslims“ by Mustafa Cerić: Appraisal and Debate in Germany,
in: Islamska Zajednica u Bosni I Hercegovini. Dvije decenije Reisu-l-uleme Dr. Mustafe Cerića/The Islamic Community in Bosnia and Herzegovina: Two Decades of the Grand Mufti Dr. Mustafa Cerić, Sarajevo 2012, 516-521
Die Taqiya-Lüge. Mechanismen der Ausgrenzung religiöser Minderheiten,
Blätter Abrahams 10, 2010, 92-110
Gibt es eine „islamische Gefahr“ für die Kultur Europas?,
Politische Studien. Zweimonatszeitschrift für Politik und Zeitgeschehen 57, 2006, Nr. 405, 33-41,
= Blätter Abrahams 5, 2006, 88-98
STELLUNGNAHMEN:
1400 Jahre Hidschra: Glückwunsch und Wunsch
Mit dem Neumond am 30. Juli 2022 begann nach dem islamischen Kalender das Jahr 1444 nach der Hidschra. Mit dem prägenden Ereignis von der Emigration des Propheten Mohammed, der mit einer noch kleinen Urgemeinde in seiner Heimat Mekka bedrohlich bedrängt und in der rund 400 Kilometer entfernten Stadt Jathrib aufgenommen wurde, beginnt die Zeitrechnung der Muslime. Jathrib wurde später als Madinat-an-Nabi, „die Stadt des Propheten“, oder kurz „Medina“, bekannt. Da nun der islamische Kalender an den Mondphasen orientiert ist (wie zum Beispiel auch der jüdische Kalender), sind seine zwölf Monate etwas kürzer als das Sonnenjahr (354 statt 365/66 Tage). So zählt man seit dem Jahr 622 n. Chr. eben schon mehr als 1400 Jahre, und das islamische Jahr 1400 war bereits 1979/80. Nach Sonnenjahren gerechnet sind aber genau jetzt 1400 Jahre vergangen – ein Jubiläum, das viele Muslime gar nicht wahrnehmen. (Im Iran zählt man zwar Sonnenjahre, rechnet aber seit dem Neujahrstag am 21. März 2022 bereits das Jahr 1401.)
Genau vierzehn Jahrhunderte besteht also der Islam in der Form, die er durch die Offenbarung des Korans und die Vorbildfunktion des Propheten Mohammed angenommen hat, auch wenn aus der Sicht dieses Korans der Islam schon lange vorher in der Welt war, nämlich seit es Menschen gibt. Vierzehn Jahrhunderte, die der Welt Vieles geschenkt haben – ganz abgesehen von der Offenbarung selbst und ihrer Spiritualität, soziale Fortschritte in vielen Kulturen (zum Beispiel die Verbesserung der rechtlichen Stellung von Frauen gegenüber früher), in der Wissenschaft (wo muslimische Gesellschaften lange Zeit wegweisend waren), im Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen (als zum Beispiel Juden sehr viel freier und geschützter unter muslimischer Herrschaft leben konnten, als unter christlicher). Dass in den 14 Jahrhunderten auch immer wieder gewaltsame Eroberungen und Konfrontationen zu verbuchen waren, muss nicht eigens hervorgehoben werden – denn leider ist es das, was bei vielen Zeitgenossen heutzutage die Wahrnehmung dominiert. Und leider sind nach 14 Jahrhunderten die Konflikte nicht überwunden – genauso wenig, wie nach über 2000 Jahren Christentum …
Allzu oft geht es Gläubigen – egal welcher Religion – darum, ihre Religion wie ein Prädikat vor sich her zu tragen, das sie – wie sie selber meinen – vor anderen auszeichnet. In diesem Überlegenheitsdenken und dem Bemühen um Abgrenzung gegen „die anderen“ werden dann religiöse Symbole, Riten und Regeln zu Idolen – denn dann wird damit nicht mehr wirklich Gott verehrt, sondern unsere eigene Identität, unsere Ehre, unsere Geschichte, Nation …
Heute ist es an der Zeit einzusehen, dass wir den Verheißungen und den Ansprüchen, die unsere Religionen an die jeweiligen Gläubigen richten, erst dann gerecht werden können, wenn wir nicht mehr gegeneinander konkurrieren, sondern miteinander darum wetteifern.
So wollen wir Freunde Abrahams den Musliminnen und Muslimen von Herzen gratulieren zu diesem Jubiläum:
السلام عليكم ورحمة الله وبركاته
Frieden über Euch, die Barmherzigkeit Gottes und Sein Segen!
Und wünschen: Lasst es uns gemeinsam tun!
Wer das Jubiläum an den genauen Jahrestagen feiern möchte: Die Flucht aus Mekka begann am 27. des 2. Monats (Safar) des Jahres 1, das war der 13. September 622, die Ankunft in Medina erfolgte 14 Tage später, am 12. des 3. Monats (Rabi’a-l-Awwal), das war am 27. September 622.
(aus: Abrahams Post 41.2023)
"Allahs blauer Edelstein" - und wie München zu einem Vorort von Penzberg geworden ist
Die Islamische Gemeinde Penzberg feierte am 17. Oktober 2015 ein Doppeljubiläum: 20 Jahre Bestehen der Gemeinde, 10 Jahre Eröffnung des „Islamischen Forums“ mit der längst weit über Bayern hinaus bekannt gewordenen Moschee. Unseren Freunden gratulierte Stefan Jakob Wimmer mit einem Rückblick aus der Sicht der Freunde Abrahams:
Es war am 1. Juli 2006, als die Gesellschaft Freunde Abrahams ihren Mitgliedern einen Tagesausflug nach Penzberg anbot. Im Ankündigungstext hieß es dazu: „Der scheinbar unauffällige Ort Penzberg, bekannt vor allem durchs Vorbeifahren auf der Autobahn, bietet Seiten, die als wenig Bayern-typisch auf Postkarten nicht vorkommen, dabei aber genaueres Hinschauen umso mehr lohnen“. Neben dem Besuch des Stadtmuseums, der Campendonk-Fenster in der Christkönigskirche und einem Mittagessen in Schönmühl war die Hauptattraktion und der eigentliche Anlass für die Exkursion das im Jahr zuvor eröffnete Islamische Forum. Über deren Eröffnung hatte die Süddeutsche Zeitung unter dem Titel „Allahs blauer Edelstein“ berichtet – eine Formulierung, die man sofort versteht, wenn man die Moschee von innen (oder nachts von außen) sieht. Deren aufregend ansprechende Architektur wäre schon Rechtfertigung genug für die Fahrt nach Penzberg gewesen; es kamen aber immer wieder Berichte über den jungen, dynamischen und chiquen Imam namens Benjamin Idriz hinzu, der in seinen Predigten engagiert „einen friedlichen und in Europa beheimateten Islam“ vertrat. Zum sog. Karikaturenstreit, der Anfang 2006 erstmals aufgeflammt war, war ebenfalls in der SZ zu lesen, was er den Muslimen dazu riet: „Legt Blumen vor die Botschaften statt Feuer! Wenn wir den Propheten verteidigen wollen, dürfen wir ihn nicht beschädigen. Zeigt die friedliche Botschaft des Islam! Zeigt, dass wir den Weg eines Dialogs gehen wollen, in dem beide Seiten auf gleicher Augenhöhe sind.“
Nun – der Besuch der Freunde Abrahams, die der 2012 verstorbene Prof. Manfred Görg damals mit mir zusammen leitete, hatte für mich ungeahnte Folgen. Wie alle Teilnehmer/innen war ich fasziniert und begeistert von dem, was wir sahen und hörten, was Vizedirektorin Gönül Yerli uns zeigte und erklärte, was der Imam und seine Frau Nermina Idriz uns über die Selbstverständlichkeit des Miteinanders nahebrachten. Meine Erfahrungen mit Islam, bzw. mit Muslimen, hatten viel mit meiner Studienzeit in Jerusalem zu tun, mit meinen darauf folgenden engen Beziehungen zu Israel/Palästina, zu Jordanien, Ägypten. Und sie waren deshalb überwiegend geprägt von Erscheinungsformen – nun will ich nicht mehr sagen: des Islam, sondern – dessen, was Muslime aus dem Islam gemacht haben, die wir alle auch aus den Medien zur Genüge kennen. Hier in Penzberg war nun ein Ort, waren Menschen, eine muslimische Gemeinde, die glaubwürdig dafür eintraten, dass Islam weder fremd noch gefährlich ist, sondern tatsächlich eine Bereicherung unserer Gesellschaft sein könnte. Ich hatte, so schien mir, eine seltene Entdeckung gemacht, gleichsam „einen Edelstein“ gefunden! Und so bot ich mich gerne an, wenn einmal Bedarf wäre, die Gemeinde nach Wunsch zu unterstützen, wenn sie Hilfe beispielsweise beim Korrigieren oder Formulieren von Texten benötigte.
Der Fall trat bald ein. Als das Team um Benjamin Idriz ein anspruchsvolles Konzept vorlegte, um das, was in Penzberg gelang, in größerem Rahmen auch in München umzusetzen, wurden Vorwürfe und Widerstände laut, die damals – und auch jetzt im Nachhinein wieder – geradezu surreal, absurd und empörend wirk(t)en. Denn nicht nur die auch weiterhin ungebrochen aktive islamfeindliche Szene bezichtigte „die Penzberger“ des Gegenteils dessen, wofür sie sich nachweislich und anerkannt einsetzen; ausgerechnet das Bayerische Innenministerium – das eine islamische Gemeinde wie in Penzberg eigentlich feiern, fördern und mit Anerkennung überschütten müsste – erklärte den Imam und seine Gemeinde zu verfassungsfeindlichen Extremisten und machte ihnen damit über mehrere Jahre das Leben zur Hölle. Es gab also sehr viel mehr Bedarf an Korrespondenz, an Briefen, Gesprächen, an Medienarbeit, als irgendjemand sich hätte wünschen mögen. Dass mit dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten Hildebrecht Braun ein Rechtsanwalt das juristisch Gebotene einbrachte und darüber hinaus noch sehr viel mehr andauernd leistet, darf hier nicht nur erwähnt werden – hoch genug kann es gar nicht gewürdigt werden. Mich machte der Verein „Zentrum für Islam in Europa – München (ZIE-M)“, wie die Initiative in den ersten Jahren hieß (sie wurde inzwischen umbenannt in „Münchner Forum für Islam (MFI)“) zum 1. stellvertretenden Vorsitzenden, und so erlebte ich mit, durch Dick und Dünn, wie „die Penzberger“ und ihre Münchner Mitstreiter es schafften, durch alle gesellschaftlichen Schichten ein Maß an Anerkennung und Unterstützung zu erlangen, wie – das wird man ohne Zögern sagen können – noch nie irgendeine islamische Initiative in Deutschland: Politiker aus allen demokratischen Parteien von Rechts bis Links und von der Lokalpolitik bis zu Landtagspräsident Glück und Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger, Vertreter/innen der Religionsgemeinschaften von den Penzberger Pfarrern bis zum lutherischen Landesbischof sowie führende Mitglieder der jüdischen Gemeinden in München, ungezählte einfache Bürgerinnen und Bürger, die in Penzberg leben oder die (zu Zehntausenden!) die Moschee besucht und das Forum kennengelernt haben, und schließlich nahezu alle Medien vom Penzberger Gelben Blatt bis zum Bayerischen Rundfunk unterstützen und fördern die Pläne aus Penzberg, setzen sich alle auf ihre Weise dafür ein.
Das mitzuerleben, war und bleibt lohnend und bewegend und ermutigend! Es war aber auch ein Lernprozess mit diesen Jahren für mich verbunden. Das Islamische Forum und die IGP sind tatsächlich „ein Edelstein“ – ohne Zweifel! Sie sind eine Ausnahmeerscheinung, insofern als sie es schaffen, das, wofür sie stehen, nicht nur nach innen umzusetzen, sondern auch erfolgreich nach außen zu vermitteln. Die schmerzvolle Kontroverse, von der oben die Rede war, hat vielleicht sogar die Wahrnehmung noch katalysiert und zu Beachtung und Unterstützung auch für das MFI in München mit beigetragen. Aber – die Musliminnen und Muslime, die ich in Penzberg und im MFI erlebe, sind keine Ausnahmemuslime. Im Gegenteil – sie glauben und leben den ganz normalen Islam. Muslimische Menschen wie sie leben nicht etwa nur in Penzberg, sondern überall und verkörpern das, was Islam ausmacht. Sie werden allerdings in der Regel viel weniger wahrgenommen, als im Beispielfall Penzberg. Dass die Fundamentalisten, Extremisten und Terroristen, die Wahnsinnigen – ob sie sich „Islamischer Staat“ oder „Dschihad“ oder „Widerstand“ oder wie auch immer nennen – es sind, die die Ausnahmen verkörpern, periphere Randgruppen, scheint unserer Wahrnehmung zu widersprechen. Denn sie sind es, die die Berichterstattung dominieren. Das gelingt ihnen, weil sie Gewalt anwenden, und Gewaltanwendung braucht, wer sonst nichts hat, um über seine Marginalität hinwegzutäuschen.
Was also macht das Besondere an „Penzberg“ aus? Dass eine einfache kleine Gemeinde mit sehr engagierten und begabten Menschen vorgemacht hat, was „normal“ ist. Und das große, weltläufige und gerne etwas selbstgefällige München ist hoffentlich dabei, das Vorbild Penzberg nachzuahmen. Die Vorreiterrolle, die Penzberg hier eingenommen hat, kann heute niemand mehr übersehen. Was den Beitrag von Muslimen zum Miteinander in Bayern angeht, ist Penzberg Metropole. München darf froh sein, nicht allzu weit von Penzberg entfernt zu liegen.
(aus ABRAHAMS POST 28/2016)
Stellen Sie sich vor, Sie wären Muslim/a ...
Gedanken zu einem ganz normalen Tag
Stellen Sie sich vor, Sie wären Muslim/a! Wie würden Sie dann einen ganz normalen Tag wie heute, Dienstag den 16. Dezember 2014, erleben? Fassungslos und wütend wären Sie gerade dabei zu verdauen, dass schon wieder ein Verrückter, der sich Muslim nennt, zugeschlagen hat und am anderen Ende der Welt Menschen mit der Waffe zwingt, Ihr Glaubensbekenntnis an ein Fenster zu halten und dann auf sie schießt. Während Sie, wie so oft in diesem Jahr, in jedem Monat, Woche für Woche mit solchen Gedanken beschäftigt sind, kommt die Meldung, dass Taliban in Pakistan eine Schule überfallen und über hundert Kinder ermordet haben sollen. Bei der bloßen Vorstellung wird jedem Menschen schwarz vor Augen. Hätten Sie noch Kraft, das genauer wissen zu wollen?
Währenddessen sind soeben 15.000 Deutsche aufmarschiert, weil wohlgemerkt weder der Irre aus Australien, noch die terroristischen Taliban, auch nicht der Wahnsinnsstaat im Irak und Syrien, sondern Sie – als in Deutschland lebende/r Muslim/a – angeblich dabei sind, ein „Abendland zu islamisieren“…
Damit noch nicht genug für heute. Denn von Ihren Politikern in Deutschland bekommen Sie gesagt, dass man solche Ängste ernst nehmen muss.
Ernst nehmen! Wie schön wäre es, in der Tat, wenn diese Ihre Politiker ernst nähmen, wie Sie als Muslim/a in Deutschland sich für diese Gesellschaft, für diesen Staat und seine Wirtschaft, für Ethik und Recht stark machen? Wenn Sie diejenigen viel mehr unterstützen würden, die ernsthaft an den Problemen arbeiten, anstatt Ängste zu äußern, die andere in Wut versetzen, die die nächsten in Hass umsetzen und die übernächsten mit Gewalt austragen.
Ernst nehmen! Was wäre, wenn diese Ihre Politiker diejenigen wirklich ernst nähmen, die tagtäglich ihre Energien für wirksame Integration einsetzen, ob Muslime oder nicht, wenn die vielen konstruktiven, positiven, erfolgreichen Initiativen, die es überall gibt, die sich aber um Mittel und Kapazitäten und allein schon: um Wahrnehmung abstrampeln müssen, von der Politik mit aller Kraft unterstützt und gefördert würden, in jeder Stellungnahme an erster Stelle stünden und dadurch viel, viel mehr ins Bewusstsein der gesamten Gesellschaft gerückt würden?
Als Ihre Münchner Imame vor einigen Wochen eine gemeinsame Erklärung gegen den Irrsinn sogenannter „Islamisten“ vorgestellt haben, die an Ausführlichkeit, Deutlichkeit und Entschiedenheit nichts zu wünschen übrig lässt – wo war da Ihr Bayerischer Innenminister? Was hat er dazu gesagt? Wie oft hat Ihr Ministerpräsident bisher davon gesprochen? Hat der Bayerische Landtag die Imame eingeladen, um ihren Aufruf überall bekannt zu machen? Welche Würdigung hat sich Ihr Land oder wenigstens Ihre Stadt dafür überlegt?
Es ist ja nicht so, dass Sie als Muslim/a Ängste nicht verstünden. In einem Land, dessen schrecklichster Terroranschlag schon vor 34 Jahren von Rechts kam, in dem trotzdem die Sicherheitsbehörden konsequent alle Augen verschlossen haben, als Muslime Opfer von rechten Terroristen wurden und in dem immer wieder Muslime, also Sie, als fremd und gefährlich angesehen werden.
Ist das die Schuld der Medien, deren Aufgabe es ja ist, uns alle über Schreckensmeldungen aus aller Welt auf dem Laufenden zu halten? Zu den Grundsätzen aller seriösen Medien gehört die Ausgewogenheit. Sie als Muslim/a wüssten, was ausgewogen hieße: Wenn vor und nach jeder Meldung über „islamistische“ Gewalt tausend Meldungen über normale Muslime in den Medien erschienen – das wäre ausgewogen. Natürlich, so viel Platz ist in keiner Zeitung und in keiner Nachrichtensendung. Auch nicht für hundert Meldungen über normale Muslime. Vielleicht für zehn? Das wäre noch lange nicht ausgewogen, und zehn Ereignisse, Initiativen, Stellungnahmen würden sich, wie Sie wissen, leicht finden lassen. Aber – warum erscheint nicht konsequent pro Terrormeldung je 1 positive Meldung über Muslime und Islam in den Medien? Warum?
Wenn Sie Muslim/a wären, würden Sie dann heute, an einem ganz normalen Tag, vielleicht verzweifeln, sich abschotten und in eine Parallelwelt flüchten? Oder würden Sie, vielleicht aus dem Gebet oder der meditativen Koranrezitation, die Kraft schöpfen, die Sie brauchen, um heute weiter zu machen, das Gute zu tun und das Ihre zur gemeinsamen Zukunft in diesem Land beizutragen? Gott weiß, was der morgige Tag bringt.
(aus ABRAHAMS POST 26/2015)